Mama x 10⁺∞

 

Es gibt so Phasen, da kommt man irgendwann irgendwie durch.
Etwas weniger Schlaf als sonst.
Etwas mehr Nervenverschleiß als sonst.
Etwas dickere Augenringe als sonst.
Etwas mehr Gereiztheit als sonst.

Und es gibt diese eine, neue Phase.
Mama! Mama. Mama, Mama. MAMA!!

Als er noch nicht reden konnte, sondern sich durch glucksende Geräusche bemerkbar machte, war es einfach.
Meine Frau und ich kümmerten uns gemeinsam um ihn.
Je nach dem, wer fitter war, in jeglicher Hinsicht.
Er gluckste, jemand stand parat. Hat gut funktioniert.
Unsere einhellige Meinung aber war, wenn er endlich reden könnte, wäre das bestimmt ganz toll für uns alle.
Er könnte sagen was er will, wohin er will und was alles er nicht will. Er könnte endlich Mama und Papa sagen.
Wie süß und toll das doch wäre…
Wir wußten nicht, dass er irgendwann die Büchse der Pandora damit öffnen würde…

Heute ist es schön, wenn er Papa sagt.
Oder Auto.
Oder essen bitte.
Oder Kran.
Oder Oma und Opa.
Oder Bett heia.
Er sagt so viel. Er redet dauernd.
Das ist tatsächlich süß und toll.

Doch da gibt es eine Kleinigkeit.
Eine nervenzerfressende Kleinigkeit.
Etwas, womit ich zumindest nicht gerechnet hätte.

Das Wort Mama.
Das Wort, womit ich sagen kann wen ich will.
Zu wem ich jetzt will.
Wer jetzt kommen soll.
Wer mich jetzt anziehen und wickeln darf.
Wer mich in den Schlaf begleiten soll.
Wer mich trösten darf.
Der Schlüssel zum Personenkult.
Der Schlüssel zur Büchse…

Besonders spannend wird es, wenn Mama mal über Nacht außer Haus ist.
Upsi, nur noch Papa anwesend.
Und nun?
Erst mal rufen. Vielleicht hört sie es ja.
Hmmm, nee. Doch nicht. Egal. Weitermachen.
Papas Bekundungen, Mama kommt doch wieder und ist nur kurze Zeit weg, reichen nicht aus.
Er windet sich auf dem Arm. Unter Tränen. Und schreit.
Wir müssen durchs Haus laufen. Keller, EG, OG.
Keine Mama in Sicht.
Okay. Papa darf ran. Wickeln. Anziehen. Ins Bett bringen. Sich kümmern.
Bei Trost sieht es wieder anders aus.
Fällt er, rutscht er aus, stößt er sich oder passt gerade irgendwas anderes nicht, reichen Papas Trost- und Kuschelkünste aus.
Fühle ich mich dann irgendwie komisch? Ja. Eindeutig.
Die Nummer zwei.

Ist Nummer eins wieder im Hause scheint alles normal. Keine Auffälligkeiten. Keine überschwängliche Begrüßung.
Ein Lächeln nur. Komisch. Bei der vergangenen Gefühlsachterbahn.

Nummer zwei freut sich. Alles scheint normal.

Zeit für ein Bad. Die Wasserratte liebt es. Das ganze Bad setzt er unter Wasser. Beim Einlassen selbigem in die Wanne und dem Versuch die Windel und die Klamotten auszuziehen plötzlich dieses Wort. Mama. Mama, Mama. MAMA!!

Windel voll. Ich rieche es. Wer nicht.
Beim Versuch den Puper hochzunehmen um das Riechende zu entsorgen, plötzlich wieder dieses Wort. Mama. Mama, Mama. MAMA!!

Zeit fürs Abendessen. Nummer eins kocht. Ich möchte währenddessen mit ihm spielen. Geht nicht. Rockzipfelalarm. Schreierei. Mama ist genervt. Und beim Versuch, ihn von ihr zu entfernen, plötzlich wieder dieses Wort. Mama. Mama, Mama. MAMA!!

Zeit fürs Bett. Nummer eins sitzt unten im Wohnzimmer.
Ich spiele mit ihm oben in seinem Zimmer.
Beim Versuch, den Puper hochzunehmen, um ihn im Bad bettfertig zu machen, plötzlich wieder dieses Wort. Mama. Mama, Mama. MAMA!!

Ist Nummer zwei genervt? Ja. definitiv.
Ist Nummer eins genervt? Ja. definitiv.

Es ist nicht leicht. Für uns beide.
Wir warten. Müssen wir ja.
Auf das Phasenende. Vielleicht wird die Nächste ja besser.
Einfacher, irgendwie.
Hoffen wir es. Aber das Schicksal lacht schon.
Ich kann es hören. Ganz leise. Dieses Gekicher…

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